Die Wissensarbeit galt lange als immun gegen jegliche Form der Automatisierung. Mit dem Vormarsch der Künstlichen Intelligenz hat sich das geändert. Denn KI-Technologien werden nahezu alle Bereiche der Arbeitswelt durchdringen - auch und insbesondere in der Beratungsbranche.
Doch inwieweit hat sie sich bereits verändert? Was erwartet Management- und Strategieberatungen in naher Zukunft? Wie können sie Chancen ergreifen und Risiken abwenden?
Unser Geschäftsführer Florian Nix hat mit KI-Experte David Gierse gesprochen. Als Senior Business Development Manager bei der Managementberatung Detecon beschäftigt er sich seit vielen Jahren intensiv mit Künstlicher Intelligenz und ihren Auswirkungen. Das Ergebnis ist eine mehrteilige Interviewserie, die eine Branche im Wandel diskutiert.
In Teil 1 der Serie sprechen wir über den Status quo in Managementberatungen.
David Gierse, KI-Experte und Senior Business Development Manager bei Detecon
berater.de Redaktion: Management-Beratungen leben von Wissen, Erfahrung und kreativen Denkansätzen. Wird KI hier langfristig eine Rolle spielen?
David Gierse: Und ob - sie tut es gegenwärtig schon. Künstliche Intelligenz wird die Arbeitsweise in der Management-Beratung fundamental verändern. Viele Routineaufgaben werden von KI-Systemen teilautomatisiert, wie etwa die Erstellung von Präsentationsmaterialien und das Recherchieren in großen Datenquellen. Auch das Schreiben von Konzepten und der Umgang mit Excel sowie anderen Tools werden durch KI erheblich unterstützt. Diese Technologien ermöglichen es, repetitive Aufgaben effizienter zu gestalten und dadurch mehr Zeit für den Kunden zu haben.
berater.de Redaktion: Bei Präsentationen klingt das logisch. Wie weit ist die KI, wenn es um komplexere Zusammenhänge geht?
David Gierse: Unternehmen stehen oft vor komplexen Herausforderungen. Gerade dann helfen Beratungen, die Fragestellungen aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten und aus Basis unterschiedlicher Erfahrungswerten anzugehen. Man braucht also zum einen die richtige Analyse großer Datenmengen, zum anderen aber auch eine umfassende Betrachtung und Expertise.
berater.de Redaktion: Wie kann man sich das konkret vorstellen?
David Gierse: Ein guter Vergleich ist die Dermatologie. Wenn man zum Hautcheck geht, gibt es mittlerweile Tools, bei denen eine KI mittels Mustererkennung Hautveränderungen analysiert und auf potenzielle Hautkrebsrisiken hinweist. Dabei schaut nicht nur ein Arzt für 30 Sekunden auf die Haut, sondern es fließen die Erfahrungen und Erkenntnisse aus tausenden Fällen und von zahlreichen Ärzten in die Analyse ein. Diese umfassende Sichtweise und Mustererkennung erhöht die Genauigkeit und Frühzeitigkeit der Diagnose erheblich.
Ähnlich ist es in der Beratung: Durch die Erfahrungen aus zahlreichen Projekten und Branchen können komplexe Herausforderungen aus vielfältigen Blickwinkeln betrachtet werden. Man kann auf Erkenntnisse zurückgreifen, die in anderen Projekten gewonnen wurden - einschließlich derjenigen, die vielleicht nicht so gut liefen. Dieses Wissen ermöglicht es, Herausforderungen branchenübergreifend zu analysieren und zu bewältigen. KI-Tools unterstützen dabei, indem sie Daten analysieren und Muster erkennen. So können Berater mit fundierten Informationen arbeiten, um dem Kunden maßgeschneiderte Lösungen zu bieten.
berater.de Redaktion: Gerade in der aktuellen Rezessionsphase ist die Akquise eine der größten Herausforderungen für Beratungsunternehmen - auch für die großen. Kann KI hier Mehrwert bieten?
David Gierse: Ja, KI kann einen Mehrwert bieten. Extern können Beratungsunternehmen ihren Kunden KI-Schulungen anbieten und gemeinsam mit ihnen Datenstrategien entwickeln, damit kleine und mittelständische sowie größere Unternehmen in Deutschland produktiver werden. Dies bietet neben den vielen anderen Vorteilen eine erhebliche Unterstützung.
Intern kann KI genutzt werden, um sich datengetrieben aufzustellen und den Kunden noch besser zu verstehen. Durch die Verknüpfung verschiedener Datenquellen können frühzeitig Kundenbedürfnisse erkannt werden, bevor der Kunde diese Herausforderung selbst verspürt. Damit lässt sich das Marketing effektiver steuern und das Portfolio gezielter ausrichten. So kann die Beratung den Kunden besser bedienen und noch relevantere und maßgeschneiderte Lösungen anbieten, was letztlich den Mehrwert für den Kunden erheblich steigert.
berater.de Redaktion: Wie sieht es im Sales Prozess aus, ist dort nicht das persönliche Netzwerk entscheidend?
David Gierse: Im Sales-Bereich ist das persönliche Netzwerk in der Beratung weiterhin wichtig. Doch durch Datenauswertungen kann viel besser erkannt werden, was die spezifischen Bedürfnisse der Kunden sind. Dies ermöglicht es, zielgerichteter zu agieren und die Kunden effektiver bei der Lösung ihrer Probleme und Herausforderungen zu unterstützen. KI kann helfen, Cross- und Upselling-Möglichkeiten zu identifizieren, indem sie Marktanalysen durchführt und präzise Einblicke in die Kundenanforderungen bietet.
Dabei ist es wichtig, Mitarbeiter bei repetitiven Routineaufgaben zu entlasten. Das beschleunigt den Sales-Prozes, weil sie mehr Zeit haben, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren - nämlich dem Kunden einen Mehrwert zu bieten. Zum anderen können Angebote noch individueller auf die Kundenherausforderungen angepasst werden - auch wenn der Kunde diese noch nicht einmal vollständig erkannt hat. Dies erhöht nicht nur die Qualität des Angebots erheblich, sondern auch die Qualität des gegenwärtigen und darauffolgenden Projekts.
Natürlich bleibt der persönliche Austausch auf Messen, Veranstaltungen und Workshops weiterhin ein ganz großer Bestandteil der Akquise in der Beratungsbranche.
berater.de Redaktion: Profitieren auch die Kunden vom KI-Einsatz in der Beratung?
David Gierse: Ja, zu 100 Prozent. Die Kundenbedürfnisse werden deutlich früher und besser verstanden, weil Zusammenhänge aus großen Datenmengen besser verknüpft werden. Berater haben mehr Zeit, sich mit den kreativen Prozessen und den spezifischen Anforderungen der Kunden zu beschäftigen, da sie von repetitiven Aufgaben entlastet werden.
Kunden profitieren auch davon, dass in Projekten Herausforderungen frühzeitig erkannt werden können, weil ähnliche Probleme möglicherweise schon bei anderen Kunden aufgetreten sind und entsprechend gelöst wurden. Dies führt zu einer höheren Qualität der Beratung und mehr Sichtweisen bei der Lösungsfindung und Umsetzung. Insgesamt entsteht eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten.
In Teil 2 der Interviewserie sprechen wir über die neue Rolle des Beraters und wie sich diese im Zeitalter der Künstlichen Intelligenz verändern wird.
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